
Zwischenstopp in Montréal
Heike Maria Johenning ist Autorin unseres kürzlich erschienenen Architekturführers Montréal. Kanadas zweitgrößte Stadt kennt sie seit mehr als 20 Jahren. Hier führt sie zu Moshe Safdies Habitat 67 und zu Inuit-Kunst – immer mit Leonard Cohens Songs im Ohr.
Text: Heike Maria Johenning
Foto: Appartements Bishop Court (John Smith Archibald und Charles Jewitt Saxe, 1904), im Hintergrund eine Wandmalerei, die Leonard Cohen zeigt. © Johenning
Das erste Mal habe ich die Stadt 2002 besucht, als ich einige Monate lang als Französisch-Übersetzerin für VIA Rail Canada arbeitete. Mir gefiel auf Anhieb die etwas disparate Mischung aus europäischen Baustilen, extravaganten Kirchen, schmalen Gassen und amerikanischen Hochhäusern vor der Kulisse des einst größten Binnenhafens Nordamerikas. Das 1642 gegründete Montréal hat mit seinen historischen Brüchen und seiner weltläufigen Zweisprachigkeit Ähnlichkeit mit Berlin, wo ich – aufgewachsen in der Nähe von Gütersloh – seit 17 Jahren lebe.
First We Take Manhattan. Ein Montréal-Besuch beginnt unweigerlich in der Altstadt; in Vieux-Montréal schlendert man vorbei an historischen Gebäuden und Pop-up-Boutiquen. Ich trinke gern einen Aperol Spritz auf der Terrasse Nelligan (106, rue Saint-Paul O., 5. Etage). Vom nahen Bota-Bota-Wellness-Schiff, das im Sankt-Lorenz-Strom vor Anker liegt, blickt man auf die Brutalismus-Siedlung Habitat 67 von Moshe Safdie. Die gegenüber der Altstadt gelegene Île Ste-Hélène gehörte 1967 zum Ausstellungsgelände der Expo. Aus der Zeit sind noch einige Relikte zu finden, wie etwa die Biosphère von Buckminster Fuller, in der heute ein Umweltmuseum untergebracht ist.
Hallelujah. In Montréal kann man sehr gut essen! Für das Québequer Nationalgericht Poutine – obwohl auf Französisch genauso geschrieben, hat die Kombination aus Pommes, Käse und Bratensauce nichts mit dem russischen Präsidenten zu tun – empfehle ich das von Donnerstag bis Samstag 24 Stunden geöffnete Chez Claudette (351, Laurier Ave E). Inzwischen gibt es Poutine etwa auch mit Guacamole oder Hummer, aber ich mag die klassische Variante am liebsten. Ein neuer kulinarischer Hotspot ist der Time Out Market im Centre Eaton (705, Saint-Catherine St W). Dort kochen auf 40.000 Quadratmetern an kleinen Ständen die besten Köche der Stadt. Der letzte Schrei: Sconuts, eine Mischung aus Scones und Donuts. Ende des Jahres wird das Eaton Restaurant im neunten Stock (Le 9e), eine Art-déco-Ikone von 1931, nach 24 Jahren wiedereröffnet!
True Love Leaves No Traces. Wenn Sie in Montréal nur in ein Museum gehen können, dann sollte es das Musée des Beaux-Arts (1380, Sherbrooke St W) sein, das in Nordamerika seinesgleichen sucht: Es lohnt schon allein wegen der Inuit-Kunst und der abstrakten Gemälde von Jean-Paul Riopelle. Danach sollte man Leonard Cohen einen Besuch abzustatten – beziehungsweise dem Konterfei des 2016 verstorbenen Songwriters, einem 300 Quadratmeter großen Streetart-Gemälde in der Rue Crescent. Weil ich Cohen verehre, habe ich mich kürzlich auch auf den Weg zu seinem Grab auf dem Friedhof Mont-Royal (1297, Foret Rd) gemacht. Da dort sehr viele Cohens begraben liegen, war es gar nicht so leicht zu finden, ein Friedhofsgärtner musste mir helfen. Gleich nebenan befindet sich der größte bewaldete Park der Stadt. Sieben weitere Fans und ich standen an der betont bescheidenen, nur mit einem Fedorahut geschmückten Grabstätte, und wir alle hatten dabei vermutlich einen von Cohens Songs im Ohr.
HEIKE MARIA JOHENNING, Jahrgang 1968, ist Dolmetscherin für Französisch und Russisch. Als Autorin veröffentlichte sie vor Jahren den ersten deutschen Reiseführer zu Montréal. Bei DOM publishers erschienen von ihr schon Bücher zu Baku, Kiew, Tiflis, Krakau und Sankt Petersburg. Foto: privat