Robotron-Kantine und Tele-Café: Wo die DDR einst speiste
Für kulinarische Höhepunkte war der Arbeiter- und Bauernstaat nicht bekannt, doch seine Mensen und Restaurants wurden oft anspruchsvoll gestaltet. Um ihren Charme zu erhalten, braucht es mehr Aufmerksamkeit für diese einzigartigen Orte.
Text: Dina Dorothea Falbe
Foto: 1970 lud die Wochenpost palästinensische Kinder in die DDR ein. Auf dem Berliner Fernsehturm gab es für sie Kakao und Kuchen. © Bundesarchiv, Peter Heinz Junge
Er sollte die Botschaft der politischen Überlegenheit des Sozialismus gen Westen senden: Der Berliner Fernsehturm, eröffnet durch Walter Ulbricht kurz vor dem 20. Jahrestag der DDR am 3. Oktober 1969, war ein politisches Prestigeprojekt. Besonders die Stahlkugel als Turmkopf – ein Novum - galt als waghalsiges Unterfangen: eine architektonische Ideallösung ohne Rücksicht auf die Kosten. Denn der Turm war nicht nur darauf ausgelegt, durch schiere Größe zu beeindrucken (mit 368 Metern ist er bis heute das höchste Bauwerk seiner Art in Deutschland), er war buchstäblich ein Höhepunkt sozialistischer Gastrokultur. Im Tele-Café servierte man Schokoladen-Nuss-Parfait und sowjetischen Wodka – in 207 Meter Höhe.
Ein wesentliches Element war dabei die aufwendige Inneneinrichtung: Ledersitze und verchromte Tischlampen des Leuchtengestalters Richard Wilhelm sorgten für ein edles Ambiente. Gegenüber dem Ausblick durch die Panoramafenster wurden mit Aluminiumverkleidung und einer Motivwand des Künstlers Wilhelm Kühn die Assoziationen zur Kosmonautik aufgegriffen, die man etwa auch bei den Bullaugenfenstern im Eingangsgebäude von Walter Herzog fand: Die Raumfahrt war bis in die Siebzigerjahre ein oft eingesetztes Motiv, das den Glauben an eine bessere Zukunft durch technischen Fortschritt im Sozialismus illustrieren sollte; der Fernsehturm steht wie kaum ein anderes Gebäude für diese »Sputnik-Ikonografie«. Das Gesamterlebnis des Gaststättenbesuchs, bei dem dank der Drehfunktion das gesamte Panorama der DDR-Hauptstadt in einer Stunde erlebt werden konnte, war bis ins Detail ausgestaltet. Für die ausgewählten Mitarbeiterinnen (es wurden offenbar »ausschließlich junge, hübsche Damen – Durchschnittsalter 25 Jahre« eingestellt, schreibt Matthias Grünzig in seinem Buch Der Fernsehturm und sein Freiraum) entwarf die Modegestalterin Gerda Wernitz spezielle Kostüme, die an die Kleidung von Flugbegleiterinnen erinnern sollten. Einstellungsvoraussetzung waren zudem Kenntnisse in Englisch, Französisch und Russisch.
Die ursprüngliche Innenausstattung des Restaurants in der Kugel fiel 2013 einer Modernisierung zum Opfer, doch das Raumerlebnis zwischen der atemberaubenden Aussicht durch das Panoramafenster und der erhaltenen künstlerischen Arbeit von Wilhelm Kühn können bis heute täglich Tausende Restaurantbesucher genießen.
Speisesaal 1 der Robotron-Kantine. © Eberhard Wolf, netzwerk ostmodern, www.robotron-kantine.de
Wenige Monate vor Eröffnung des Fernsehturms wurde Anfang April 1969 im Rahmen eines zentral eingeleiteten Reformprogramms für die Wirtschaft in der DDR der VEB Kombinat Robotron gebildet und mit den Bauarbeiten auf dem späteren Robotron-Gelände in Dresden begonnen. Unter diesem Namen, zusammengesetzt aus den Begriffen »Roboter« und »Elektronik«, sollte der größte Computerhersteller der DDR und ein bedeutender Produzent von Informationstechnologie im Ostblock entstehen. Rechentechnik und Mikroelektronik galten als zukunftsweisend: Dies sollte durch die Standortwahl in direkter Nähe zur Innenstadt und die Gestaltung des Robotron-Areals unterstrichen werden. Unter der Verantwortung des Architektenkollektivs unter Leitung von Axel Magdeburg und Werner Schmidt wurde bis 1974 eine der größten und qualitätsvollsten Baumaßnahmen dieser Zeit in Dresden umgesetzt.
Neben Gebäuden für die Kombinatsleitung, Bürobauten sowie dem Rechenzentrum wurde auf dem Areal am Pirnaischen Platz, eingebettet in die Parklandschaft am Übergang zum Großen Garten, eine großzügige Betriebsgaststätte errichtet. Der Pavillonbau nach Plänen von Herbert Zimmer, Peter Schramm und Siegfried Thiel umfasst eine Küche sowie zwei große Speisesäle mit insgesamt 800 Plätzen. Diese Robotron-Kantine war kein Typenprojekt, sie wurde individuell entworfen, um ihre Funktion als Treffpunkt für die Belegschaft des zukunftsweisenden Betriebs zu erfüllen. Den Architekten gelang es, aus den damals verfügbaren vorgefertigten Bauelementen eine eigenständige Architektur zu entwickeln. Architekturhistorisch betrachtet, ist die Robotron-Kantine Zeugnis einer Zeit, in der die serielle Vorfertigung als Chance für die Gestaltung wahrgenommen wurde. Erst als die Typisierung ganzer Gebäude in vielen Bereichen zum Standard wurde und individuelle Gestaltungsideen aufgrund der wirtschaftlichen Situation kaum mehr umsetzbar schienen, ließ die anfängliche Begeisterung nach. Die Gestaltung des Robotron-Areals war dagegen noch geprägt von einer Liebe zum Raster, die nicht nur in den konstruktiven Merkmalen, sondern auch in dekorativen Elementen erkennbar war. Betonformsteine schmückten die Fassaden aller Gebäude auf dem Robotron-Gelände. Auch die Brüstungselemente rund um die Terrasse der Betriebsgaststätte wurden aus Betonformsteinen von Friedrich Kracht gefertigt. In den Sälen befinden sich hochwertig verzierte Wandflächen mit Formsteinen von Eberhard Wolf.
In dem markanten und gut zugänglichen Gebäude fanden zudem zahlreiche Kulturveranstaltungen und Feierlichkeiten statt, bei denen das betriebseigene Ensemble mit Musik, Tanz, Kunststücken und Puppenspiel auftrat. Auch nach Auflösung des Robotron-Kombinats 1990 wurde die ehemalige Betriebsgaststätte immer wieder kulturell genutzt: als Diskothek und Tanzbar, als Probebühne der Semperoper, für die Zwingerfestspiele oder als Tatort-Drehort. Als ein neuer Eigentümer 2016 den Abriss plante, regte sich Widerstand: Netzwerke wie ostmodern.org und Industrie.Kultur.Ost setzten sich für den Erhalt ein – als zentral gelegener kultureller Treffpunkt und letzte bauliche Erinnerung an die Geschichte des verschwundenen Kombinats. Die anderen Gebäude auf dem Areal wurden in den vergangenen Jahrzehnten zunächst auf unterschiedliche Weise umgenutzt und zuletzt teilweise (Atrium I und Rechenzentrum) abgerissen, um neuen Wohnbauten Platz zu machen. Nachdem die Stadtverordnetenversammlung 2019 im Zusammenhang mit Dresdens Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 den städtischen Erwerb und Erhalt der Kantine beschlossen hatte, lag das Projekt zunächst aufgrund ungeklärter Finanzen brach, da aus der Bewerbung nichts wurde. Seit 2022 nutzt das Kunsthaus Dresden im Wechsel mit der Ostrale das Gebäude als Ausstellungsort, was der gegenwärtige Projektentwickler und Eigentümer ermöglicht. Aktuell wartet eine Vorlage der Stadtverwaltung zum Ankauf der Kantine für 110.000 Euro auf eine Entscheidung im Dresdner Stadtrat. Noch zögert man, aufgrund der schwierigen Finanzlage.
Ehemalige Mensa der Ingenieurhochschule Wismar: Innenaufnahme (oben), die Außenanlage mit Wasserbecken, vermutlich aufgenommen im Jahr 1975 (Mitte), und ein in der Mensa abgehaltenes Konzil (unten). © Hochschule Wismar
In der ehemaligen Mensa der Ingenieurhochschule Wismar findet kein studentisches Leben mehr statt. Ihr Standort wurde als zu weit entfernt vom Hochschulcampus angesehen und 2015 eröffnete eine neue Mensa auf dem Campus. Die Alte Mensa war ab 1972 im Rahmen der Planungen für den zu dieser Zeit im Bau befindliche Siedlung Friedenshof als Teil des Wohngebietszentrums errichtet worden. Neben den Hochschulangehörigen aßen dort Schulkinder mehrerer Schulen. Auch eine Milchbar gehörte zum Programm. Um diese unterschiedlichen gastronomischen Angebote effizient zu organisieren, versorgte eine zentral im Gebäude angelegte Küche drei Speisesäle und Gasträume – überdacht von Schirmschalen aus nur sechs Zentimeter dickem Beton, gestaltet und umgesetzt vom Betrieb des Binzer Schalenbaumeisters Ulrich Müther. Die Schalen sind von außen kaum sichtbar, prägen jedoch die Innenräume umso mehr. Der große Saal wird von vier Schalen überdacht. Ein holzverkleidetes Band im Zwischenraum der Schalen mündet in eine Metallgetaltung in der verglasten Fassade, die ursprünglich beleuchtet war. Die Schirmschale der Milchbar zierte eine Bemalung, die auf den vier Seiten der Stütze einen Baum in vier Jahreszeiten abbildete.
Zur künstlerischen Ausgestaltung gehörte laut Beschreibung der Architekten in der Zeitschrift Deutsche Architektur auch ein »farbiges Natursteinmosaik mit technischem Bewegungsspiel«, das »die Einheit von Forschung und Lehre darstellen« sollte, »wobei die plastische Wirkung sich durch die darüber angeordnete Lichtkuppel« erhöhe. Der Architekturentwurf war im Ingenieurhochbaukombinat Rostock, Sitz Wismar, unter Chefarchitekt Arno Claus Martin entstanden. Zum Raumprogramm gehörte auch eine Bunkeranlage, die sich – neben dem zuletzt für Partys genutzten Mensakeller – im Untergeschoss des Gebäudes befindet. Mit den Partys war es 2018 schließlich vorbei, als die Betriebsgenehmigung seitens der Stadt unter anderem aufgrund von brandschutztechnischen Mängeln nicht verlängert wurde. Mehrere Investoren interessierten sich dafür, das Grundstück zu erwerben – jedoch nicht dafür, das Gebäude zu erhalten. Auch hier waren es Engagierte aus Fachkreisen, die sich für den Erhalt der Mensa einsetzten. Die Wismarer Kammergruppe der Architektenkammer machte auf die Bedeutung und Qualitäten des Bauwerks und auf dessen Potenziale aufmerksam.
Der Name Müther war und ist insbesondere an der Wismarer Hochschule nicht unbekannt, denn dort wird seit 2006 der berufliche Nachlass des Bauingenieurs und Unternehmers aufbewahrt. Ab 2017 konnte dieser in einem geförderten Projekt archivarisch erschlossen und in eigens dafür eingerichtete Räume überführt werden. Im Müther-Archiv liegen Zeichnungen der materialsparenden und hochwertigen Schalenkonstruktionen und so lässt sich nachweisen, dass es mehrere Gaststätten mit Schirm- oder Pilzschalen von Müther in der DDR gegeben hat. Die Wismarer Mensa ist ein gut erhaltenes Beispiel. Im Jahr 2020 kaufte schließlich die Wismarer Wohnungsbaugesellschaft (Wobau) das Objekt. Sie plant, das Gebäude für eigene Büros zu nutzen. Anstelle der zentralen Küche soll ein Lichthof entstehen, der Raumeindruck unter den Schirmen weitgehend erhalten bleiben. Wie mit der baugebundenen Kunst umzugehen ist, die sich in Form weiterer Metallgestaltung im Außenraum fortsetzt, wird in Abstimmung mit der Denkmalpflege zu entscheiden sein. Nachdem die Wobau das Gebäude erworben hatte, stellte das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern die Wismarer Mensa unter Denkmalschutz. Der Baubeginn für die Sanierungsarbeiten ist aktuell für 2024 avisiert.
Für die von 1973 bis 1976 erbaute Mensa der Universität Greifswald schuf Wolfgang Frankenstein das fünfteilige Wandbild Studenten in der sozialistischen Gesellschaft. © Martin Maleschka
Vielseitig genutzt und damit als prägender Ort präsent im Gedächtnis vieler, die in Greifswald und Umgebung ihre Jugend verbracht haben, ist die dortige Mensa am Schießwall. Seit 1993 sorgte der Mensaclub als größter Studentenclub der Stadt hier regelmäßig für Programm mit Konzerten, Partys und Filmnächten. Mittlerweile wird die Mensa als Alte Mensa bezeichnet, denn auch in Greifswald gibt es auf dem neuen Universitätscampus eine neue Mensa. Doch das 2014 unter Denkmalschutz gestellte Gebäude soll auch nach der Sanierung wieder für die Angebote des Vereins Mensaclub zur Verfügung stehen. Darüber hinaus soll die Mensa »zu einem zentralen Kommunikations- und Kooperationspunkt für Start-ups, für die IT- und Kreativszene sowie für bestehende Unternehmen, Handwerk und weitere Bereiche« entwickelt werden, wie das verantwortliche und von der Stadt sowie der Universität getragene Wissenschafts- und Technologieunternehmen erklärt. Am Rande der historischen Altstadt, direkt an einem der wichtigsten Eingänge zur Innenstadt gelegen, soll nun im Rahmen einer Landesinitiative ein »Innovationszentrum« in der Alten Mensa entstehen. Nach einer finanzierungsbedingten Projektverzögerung ist die Fertigstellung aktuell für 2027 geplant. Der moderne zweigeschossige Stahlbetonskelettbau mit markanter roter Fassade wurde von Ulrich Hammer nach einem Konzept von Ulf Zimmermann entworfen und 1975 eröffnet. Im Keller soll sich die zentrale Leitstelle der Zivilverteidigung befunden haben. Beeindruckend ist die reiche künstlerische Ausstattung des Gebäudes: Das 22 Meter lange Wandbild Studenten in der sozialistischen Gesellschaft im Eingangsfoyer stammt von dem Künstler Wolfgang Frankenstein. Die Bierstube wurde mit Arbeiten von Studierenden aus Keramikzirkeln ausgestaltet. Treppenhaus und Milchbar zierten die Werke mit regional inspirierten Motiven Ostsee und Mecklenburger Trachten, die in den Emaillezirkeln Fritz Kühn und Lea Grundig entstanden waren.
Ebenfalls von Ulf Zimmermann stammt der Entwurf für die von 1968 bis 1972 errichtete Mensa der Hochschule Ilmenau in Thüringen. Auch diese Mensa steht als erster Bau eines an der TU Dresden entwickelten Typenprojektes seit 2011 unter Denkmalschutz. Das Büro AGZ, mittlerweile übernommen von Zimmermanns Sohn Norbert, beschreibt die gestalterische Wirkung in den Referenzen: »An der Fassade kontrastieren die dunkelbraunen Stahlprofile der Obergeschosse zu den weiß gespritzten Alu-Color-Lamellen an den Brüstungs- und Simsblenden.« Die äußere Erscheinung soll bei der 2021 begonnen Sanierung »so originalgetreu wie möglich nachempfunden« werden. Im Inneren grenzen sich die verschieden großen Speiseräume durch ihre Gestaltung klar voneinander ab und erzeugen unterschiedliche Raumerlebnisse. Die Milchbar und Imbisstheke separierten die Architekten durch eine räumliche Zonierung: »fest im Fußboden verankerte Tische und Sitze mit roten Bezügen sind vor der Imbisstheke angeordnet, grau bezogene Stühle und bewegliche Marmortische charakterisieren den dahinterliegenden Raumbereich der Milchbar. Rudi Sittes hinterleuchtete Wandgestaltung aus farbigen Glaskörpern an der Stirnwand bildet ein weiteres einprägsames Element der innenräumlichen Ausformung.« Eine Reliefwand von Rudolf Sitte und Dieter Graupner mit dem Titel positiv im Innenraum verbindet abstrakte Formen mit Personendarstellung, während die Reliefwand der beiden Künstler im Außenraum vollständig abstrakt gehalten ist. Als Mitbegründer der Künstlergenossenschaft Kunst am Bau und Professor an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, der über baugebundene Kunst lehrte, schuf Rudolf Sitte zahlreiche, häufig plastische Wandgestaltungen für öffentliche Innenräume.
Mensa der Technischen Hochschule Ilmenau. © AGZ
Insbesondere die gastronomische Nutzung stellt oft hohe funktionelle, hygienische und ökonomische Ansprüche, die den Erhalt der historischen Gestaltung erschweren können. Selbst wenn es gelingt, die häufig vielseitig genutzten Speisesäle und Gaststätten zu bewahren, sogar denkmalpflegerisch zu untersuchen und zu schützen, ist es schwer, den Erhalt der Originalsubstanz und der ursprünglichen Nutzung gleichzeitig möglich zu machen. Speisesäle, die inzwischen vorwiegend als kulturelle Orte genutzt werden, können durch die geringeren baulichen Anforderungen oft mehr von ihrem Charme konservieren. Die aufgeführten Beispiele aus Dresden und Berlin zeigen, wie wichtig die öffentliche Diskussion über den Wert von Architektur ist, um vorhandene Qualitäten sichtbar zu machen und erlebbar zu halten.
DINA DOROTHEA FALBE ist Architektin, Autorin in Berlin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Müther-Archiv an der Hochschule Wismar. Das Architekturerbe der DDR ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. Foto: privat