Städte, die auf Menschen zugeschnitten sind – das ist das zentrale Anliegen von Karsten Pålsson. Hier spricht der Autor unseres Buchs Urban Block Cities über das Ideal der Blockrandbebauung, seine Heimatstadt Kopenhagen und den Wiederaufbau in der Ukraine.
Interview: Björn Rosen
Foto: Pålsson in seinem Kopenhagener Büro, © palssonurbanism.com
Herr Pålsson, Ihre Heimatstadt Kopenhagen spielt eine zentrale Rolle in Ihren Büchern. Inwiefern hat sie Ihren Blick auf Urbanismus geprägt?
Ich bin im Zentrum von Kopenhagen aufgewachsen, in einem Stadtteil, dessen Bebauung um 1900 in Anlehnung an ähnliche Viertel in Berlin oder Wien entstand. Ein wunderbarer Ort, der Nähe und Distanz verbindet. Man hat dort seine Privatsphäre, aber wenn man auf die Straße hinaustritt, wird man zum Teilnehmer am öffentlichen Leben, lernt, mit unterschiedlichsten Menschen umzugehen. Die Wege sind kurz: Ich konnte mit dem Fahrrad zur Schule fahren und die Straßenbahn brachte einen schnell überallhin. Zwar waren die Hinterhöfe in meiner Kindheit schmutzig und dunkel, aber im Zuge der Stadterneuerung hat man sie in den 1990er Jahren begrünt. Auch in den 1920er und 1930er Jahren, als sich Europas Großstädte stark entwickelten, gab es beispielhafte Projekte: größere Stadtblöcke, die von Beginn an grüne Innenhöfe besaßen.
Kritiker könnten Ihnen vorwerfen, rückwärtsgewandt zu sein.
Das ist ein Irrtum. Wir reden heute viel über Nachhaltigkeit: Nichts ist nachhaltiger als dicht besiedelte urbane Räume. Die Viertel, über die ich eben sprach, sind es schon allein deshalb, weil es sie mehr als 100 Jahre nach ihrer Errichtung und trotz unterschiedlichster Nutzung über die Jahrzehnte immer noch gibt und sie nach wie vor sehr populär sind. In einer Stadt wie Berlin zieht es die Menschen in Stadtteile mit dichter Blockrandbebauung wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain, Plattenbauquartiere sind trotz Sanierung wenig populär. Ich spreche mich auch nicht gegen moderne Architektur aus. Moderne Architekten sind sehr gut darin, Orte zum Leben zu schaffen, aber nicht daran interessiert, eine dichte Stadt zu bauen.
Was ist für Sie ein positives Beispiel für Stadtentwicklungsprojekte jüngerer Zeit?
Sluseholmen, ein Viertel im Süden Kopenhagens, wo sich einst Hafenanlagen befanden. Die Entwicklung dort begann im Jahr 2000. Heute ist das eine urbane Siedlung am Wasser mit vier- bis sechsgeschossigen Gebäuden und begrünten Höfen, Hochhäuser gibt es keine. Die Architektur ist sehr abwechslungsreich. Hinzu kommen Wasserstraßen, Gassen und Plätze. Ein gelungenes Viertel zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht nur komfortabel in seinen Häusern wohnen, sondern dort auch einen interessanten Spaziergang machen kann.

Kopenhagen steht in diesem Jahr als Welthauptstadt der Architektur international im Rampenlicht. Ihr Bezugspunkt ist der europäische Städtebau – lassen sich dessen Prinzipien auf andere Teile der Welt anwenden?
Ich denke, dass es ein universelles Bedürfnis gibt, ein Zuhause, ein Gefühl lokaler Zugehörigkeit und sichere Straßen zu haben. Die europäische Stadttradition ist insofern einzigartig, als sie offene Fassaden in Richtung der öffentlichen Straßen besitzt. Die Tradition in Lateinamerika beispielsweise sieht anders aus, dort gibt es "geschlossene" Häuser mit privaten Innenhöfen. In dieser Hinsicht, denke ich, hat die europäische Tradition anderen Kulturen durchaus etwas zu bieten.
Innerhalb der Reihe Histories of Ukrainian Architecture, die DOM publishers in Reaktion auf den russischen Angriff im Februar 2022 aufgelegt hat, erscheinen Ihre zwei Bücher zur Stadtplanung nun auch auf Ukrainisch. Was erhoffen Sie sich davon?
Dass sie Inspiration sind für Bürger, Architekten und Politiker in der Ukraine. In meinem zweiten Buch Urban Block Cities findet sich etwa eine Entwurfsskizze, die ich für ein neu zu bebauendes Gebiet in Kopenhagen angefertigt habe. Solche Beispiele könnten beim Wiederaufbau zerstörter Städte helfen. Im neuen Kulturzentrum Ukrainian House in Kopenhagen habe ich gelernt, dass die Ukrainer schon seit vielen Jahren gegen den Einfluss von Oligarchen und für mehr Demokratie in Entscheidungsprozessen und eine menschengerechtere Stadtplanung kämpfen. Mich hat das in meiner Auffassung bestärkt, dass meine Thesen in der Ukraine von Interesse sein könnten: In den kommenden Monaten und Jahren werden dort viele Architekten aus dem Westen vorstellig werden. Ich sehe die Gefahr, dass dann überall schön gestaltete Enklaven entstehen, gated communities, aber kein gelungener Urbanismus.
Wie kann dies aus Ihrer Sicht verhindert werden?
Meine Botschaft lautet: Die Ukraine sollte sich darauf konzentrieren, eine öffentliche Stadtplanung zu etablieren, eine Kombination aus zentraler Planung und Bürgerbeteiligung. Im Mittelpunkt sollte zunächst immer der öffentliche Raum mit Straßen, Plätzen und Monumenten stehen. Natürlich ist das eine große Herausforderung. Aus eigener Erfahrung in Dänemark weiß ich, dass wirtschaftliche Interessen oft alles andere in den Hintergrund treten lassen. Ich hoffe, die Ukrainer können manches besser machen als wir.
KARSTEN PÅLSSON, Jahrgang 1947, ist als Architekt auf die Themen Stadterneuerung, Nachverdichtung, Instandhaltungsplanung sowie auf die Umgestaltung von Wohnblöcken und anderen Gebäuden spezialisiert. Er war als Berater unter anderem für das dänische Ministerium für Wohnungswesen und städtische Angelegenheiten tätig. Mehr auf seiner Website: palssonurbanism.com