Jedes Jahr erkranken weltweit etwa 10 Millionen Menschen an Demenz. Wie können Architektur und Gestaltung von Krankenhäusern ihnen und ihren Angehörigen helfen? Das ist das Thema eines Handbuchs vom DOM publishers. Hier fünf grundlegende Regeln.
Text: Björn Rosen
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1. Gestalte für alle
Bei Demenzkranken geht das Kurzzeitgedächtnis schneller verloren als das Langzeitgedächtnis, deshalb glauben viele, man müsse für sie Räume gestalten, die an frühere Zeiten erinnern. Das ist schon allein deshalb eine problematische Idee, weil manche Leute mit 60, andere mit 90 an Demenz erkranken – auf welche Zeit will man da Bezug nehmen? Gelungen sind Architektur und Design für Demenzkranke gerade dann, wenn sie nicht sofort als solche erkennbar und damit auch stigmatisierend sind. Was es braucht, sind Räume, die für möglichst viele verschiedene Leute funktionieren, die ästhetisch ansprechend sind, Orientierung und Sicherheit ermöglichen. Davon können alle profitieren – Besucher ebenso wie andere Patienten.
2. Schaffe visuelle Anker
Krankenhäuser sind große, komplexe Gebäude, und in ihnen sieht es fast überall gleich aus. Schon kognitiv gesunden Menschen fällt da die Orientierung schwer, aber sie können in ihrem Kopf eine Art Landkarte entwerfen – Demenzkranke können das nicht. Sich vorzustellen, dass sie drei Mal um die Ecke biegen müssen, um zu ihrem Ziel zu gelangen, überfordert sie. Was hilft, ist, Orte, an denen sich die Patienten entscheiden müssen, in welche Richtung sie gehen, besonders zu gestalten – so dass sie sich von einem dieser Punkte zum nächsten hangeln können. Solch ein Referenzpunkt kann zum Beispiel eine Fensteröffnung sein, die den Blick auf einen baumbestandenen Hof freigibt. Oder eine Stelle, an der sich der Flur aufweitet und es eine Sitznische gibt.
3. Ermögliche Flexibilität
Natürlich braucht es in einem Krankenhaus Standardisierung, aber man muss auch Raum für individuelle Bedürfnisse schaffen. Und sei es nur, dass die Patienten ihr Bett anders stellen können, es zum Beispiel an die Wand schieben können – weil sie es so von zu Hause kennen, weil ihnen das Sicherheit und ein Wohlgefühl gibt. Dann schläft es sich auf einmal viel besser! Gut ist auch, Platz einzuplanen für Dinge, die von zu Hause mitgebracht wurden: etwa ein Bild, das man in seinem Sichtfeld an die Wand hängen kann. Apropos Platz: Sehr wichtig ist, Raum und Aufenthaltsqualität zu schaffen für die Angehörigen, die für Demenzkranke eine sehr große Rolle spielen, damit diese nicht den Eindruck haben, ständig im Weg zu sitzen.
4. Denke an Licht
In den erwähnten komplexen Strukturen von Krankenhäusern ist es schwierig, alle Zimmer und Flurabschnitte natürlich zu belichten. Aber je häufiger man dies möglich machen kann, desto besser. Tageslicht hilft bei der zeitlichen Orientierung und verbessert den Schlaf – auch Balkone sind deshalb ein wünschenswertes bauliches Element. Was Licht allgemein, also auch das künstliche, angeht, sollte man berücksichtigen: Im Alter verändert sich das Auge, es kann nicht mehr so viel Licht aufnehmen. Deshalb braucht es gerade für Demenzkranke eine ausreichend starke Beleuchtung. Licht kann ihnen darüber hinaus als intuitive Orientierungshilfe dienen, etwa um in der Nacht den Weg zur Toilette zu finden.
5. Biete dem Personal Übersicht
Demenzkranke zeigen oft „Wanderverhalten“ und „Weglauftendenzen“: Weil sie nicht wissen, wo sie sind, werden sie unruhig und laufen dann suchend umher. Für die Mitarbeiter im Krankenhaus ist das eine große Herausforderung. Wie reagieren? Man kann die Ausgänge bewusst verstecken, aber damit blockiert man unter Umständen Fluchtwege. Und Sensoren sind immer ein Eingriff in die Privatsphäre und Autonomie eines Menschen, vom Fixieren ans Bett ganz zu schweigen. Eine Lösung, die meist gut funktioniert: die Station so zu gestalten, dass das Pflegepersonal Patienten gut im Blick behalten und nebenher zum Beispiel Schreibtätigkeiten erledigen kann. Also einen Aufenthaltsbereich, in dem sich die Patienten wohlfühlen, an zentraler Stelle und neben dem Dienstzimmer schaffen.