
Der Architekt (1): Rolf Gutbrod
Er prägte die Architektur der Nachkriegszeit wie wenige andere. Die Asymmetrie war sein Markenzeichen. Zeit für eine Wiederentdeckung.
Text: Björn Rosen
Foto: Gutbrod vor dem Modell für den Pavillon zur Expo 1967, © Archiv Karin Gutbrod
Joachim Kleinmanns saß lange dem gleichen Missverständnis auf wie viele: Der deutsche Pavillon auf der Expo 1967 mit seinem scheinbar leichten Zeltdach, international gefeiert, Symbol des neuen, demokratischen Deutschlands – dieses Gebäude, dachte Kleinmanns noch bis vor wenigen Jahren, sei ganz und gar das Werk Frei Ottos. »Dieser weitverbreitete Eindruck entsteht dadurch, dass Journalisten immer von ›Ottos Zelt‹ geschrieben haben«, sagt der Forscher vom Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) in Karlsruhe. Inzwischen hat er die Geschichte des Pavillons intensiv untersucht, sein Buch übers Zeltdach von Montreal erschien im Dezember 2019 bei DOM publishers. Darin zeichnet er nach, dass der Anteil eines anderen Mannes an dem ikonischen Bau mindestens genauso groß war.
Dieser andere Architekt, Rolf Gutbrod (1910–1999), war einer der wichtigsten Vertreter seines Fachs in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik. Heute genießt er nicht den gleichen posthumen Ruhm wie Frei Otto. Doch es wäre Zeit für eine Wiederentdeckung.
In Stuttgart wenigstens ist Gutbrod noch sehr präsent. Dort wurde er geboren, dort absolvierte er einen Teil seines Studiums, und dort unterrichtete er später auch. Vor allem aber stehen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt einige seiner interessantesten Bauten: Der Durchbruch gelang ihm im Jahr 1956 mit dem Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle. Ihr frei geschwungener Grundriss und ihre Asymmetrie sind typische Gutbrod’sche Stilmerkmale. Gutbrod war es auch, der auf eine asymmetrische Form des Zeltdachs von Montreal hinwirkte und damit das Vorbild schuf für die Zeltlandschaft des Münchner Olympiastadions. »Vielfältigkeit spielte für ihn eine große Rolle«, sagt Experte Kleinmanns.
Stark geprägt hat Gutbrod die anthroposophische Lehre. Als Kind besuchte er in Stuttgart die erste Waldorfschule. Und Rudolf Steiners Idee, dass Gebäude in ihrer Form der Natur nachempfunden sein sollten, etwa mit gerundeten organischen Formen, zeigt sich in seinen Bauten. »Bei seinen Einfamilienhäusern verläuft die Dachfläche oft nicht parallel zur Außenwand, sondern springt irgendwo schräg raus, um etwa eine Terrasse zu überdachen. Also kein Formalismus, sondern immer von der Funktion her gedacht.« Joachim Kleinmanns sagt, es fehle heute an »humaner« Architektur, für die Gutbrod stand: »Deshalb glaube ich auch, dass er ein Revival erleben wird.
Ende 2020 wird Kleinmanns bei DOM publishers eine Monografie über Rolf Gutbrod veröffentlichen.
Der Text stammt aus dem DOM magazine No. 1. Unser Magazin erscheint vier Mal jährlich – zwei Mal auf Deutsch und zwei Mal auf Englisch. Das aktuelle Exemplar bekommen Sie mit Ihrer Bestellung in unserem Webshop.